Fall des Monats Quartal 1/2023 |
18.04.2023 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und LernenWiederholter Ausfall des Massivtransfusionsgeräts, weil sich spontan Blutclots gebildet hatten.Download Fall des Monats Quartal 1-2023 als PDF Dokument Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Wiederholter Ausfall des Massivtransfusionsgeräts, weil sich spontan Blutclots gebildet hatten.
Zuständiges Fachgebiet:AnästhesiologieWo ist das Ereignis eingetreten:Krankenhaus - OPTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebWichtige Begleitumstände:Fehlende Informationen bei MPG-EinweisungFallbeschreibung:
Während Massivtransfusionen kam es vermehrt zu Ausfällen des Medizinproduktes (Massentransfusionsgerät) durch zu hohen Druck im System.
Auffallend war, dass die Systeme jedes Mal einen "Clot" enthielten. Retrospektiv betrachtet wurden in überwiegender Anzahl der Fälle Jonosteril vor, nach oder parallel zu Blutprodukten infundiert. Eine genaue Inspektion der Herstellerunterlagen auf der Herstellerwebseite zeigte eine Liste der verträglichen Infusionslösungen. Auffallend war, dass alle Infusionslösungen, welche Ca enthalten als "nicht verträglich" gekennzeichnet sind. Nach Rücksprache mit der Blutbank stellte sich heraus, dass alle Blutprodukte mit Citrat antikoaguliert sind. Die Annahme ist nun, dass die Systeme "clotten", da Ca und Citrat zusammen reagieren und das System verstopfen. Was war besonders gut?- direkter und enger Austausch mit dem Außendienstmitarbeiter der Firma- schnelle, effiziente Kommunikation mit Blutbank und Apotheke - Direkte Informationsweitergabe an alle beteiligten Berufsgruppen zur künftigen Vermeidung dieser Problematik. Was war besonders ungünstig?- Fehlende Informationen über diese potentielle Problematik bei der initialen Geräteeinweisung durch den Hersteller, damals noch durch eine andere Firma.Eigener Ratschlag (Take-Home-Message):- Klare Kennzeichnung der verträglichen Infusionslösungen am Gerät.- Information / Schulung aller beteiligten Berufsgruppen über die Sachlage. Wie häufig tritt ein Ereignis dieser Art in Ihrer Abteilung auf?jede WocheWer berichtet?PflegekraftBerufserfahrung:über 5 JahreDie Analyse aus Sicht der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH)Problemanalyse Diese Fallschilderung wirft in der Aufarbeitung leider viele zusätzliche Fragen auf. Beim angesprochenen "Massivtransfusionsgerät" handelt es sich aus dem Kontext geschlossen vermutlich um ein Druckinfusionsgerät. Bei diesen Geräten können Blutprodukte und Infusionslösungen (in Plastikflaschen) in eine Druckkammer gehängt werden, die dann unter Druck die Flüssigkeit in das Venensystem über ein Wärmesystem unter hohen Flussgeschwindigkeiten (bis zu 30 l/h, bzw. 500ml/min!) einbringt. So können in einer Massivtransfusion schnell auch große Blut- und Volumenverluste ersetzt werden. Die gängigen Druckinfusionsgeräte besitzen eine Luftfalle, eine Heizvorrichtung und einen Drucksensor. In dem geschilderten Fall wird berichtet, dass es zu einer Gerätedysfunktion wegen zu hohem Druck gekommen war. Als Ursache wurde eine "Clot-Bildung" berichtet, aber leider die Art der Feststellung einer Thrombusbildung im System und der Ort der Verstopfung nicht geschildert. Die einfachen Druckinfusionsmanschetten sind vermutlich nicht gemeint. Die im OP üblichen Druck-infusionsgeräte zur automatischen Verabreichung von Spüllösung während der endoskopischen Chirurgie sind für die intravenöse Verabreichung nicht zugelassen. Für die Massivtransfusion und die schnelle intravenöse Verabreichung von Blut und Infusionen sind verschiedene Druckinfusionsgeräte als Ausstattung in OP und Schockraum üblich. Die Geräte des früheren Marktführers LevelOne (Firma Smith Medical, München) sind derzeit nicht erhältlich, weil der Vertrieb auf Grund des Verdachts der Freisetzung von Aluminium-Ionen während des Betriebes durch nicht ummantelte Heizspiralen vom Hersteller gestoppt wurde [1, 2]. Die im Markt verbliebenen Druckinfusionsgeräte, der Ranger 245 (Firma 3M, Neuss [3]) und der Druckinfusor Rapid Infusor RI-2 (Belmont Medical Technologies, Bonn [4]) sind bis zu einem maximalen Betriebsdruck von 300mmHg einsatzfähig. Das letztgenannte Gerät wird als einziges über eine Rollenpumpe betrieben und wird mit zwei verschiedenen Sets ausgestattet: Art. 903-00006 hat ein kleines 120 ml-Reservoir, Art. 903-00018 ein 3 Liter-Reservoir. Im Reservoir kommt es zur Mischung von verschiedenen Komponenten, aus dem Reservoir wird abgesaugt und in den Patienten geführt. Die Systeme aller Geräte besitzen Filter (von 150µm bis 300µm) in einer zentralen Tropfkammer. Druckalarme werden über einem Systemdruck von >330mmHg ausgelöst. Der Drucksensor der Geräte als empfindliches elektromechanisches Präzisionsinstrument kann leicht durch mechanische Einflüsse geschädigt werden und Fehlfunktionen aufweisen. Auszug aus der Belmont Betriebsanleitung: "Wenn der Filter verstopft, reagiert der Eingangsluftdetektor, ein akustischer Alarm ertönt, eine Nachricht "KEINE FLÜSSIGKEIT. ZUGANGSLEITUNG UND FILTER PRÜFEN. MEHR FLÜSSIGKEIT ZUFÜHREN" erscheint auf dem Display und die Pumpe wird gestoppt." Damit ist nicht klar, ob es in dem gemeldeten (Wiederholungs-) Fall tatsächlich zu einer „Clot“-bedingten Verstopfung bei diesem Gerät der Einrichtung kommt und ob das bei einem weiteren Gerät in identischer Weise aufgetaucht ist. Dennoch wirft dieser Fall mehrere interessante Fragen und Antworten auf: Frage 1: Dürfen Blutpräparate und Infusionen gemischt werden? Antwort: NEIN, gemäß Hämotherapierichtlinie 4.10.1[4] dürfen Blutprodukten vom Anwender keine Medikamente bzw. Infusionslösungen beigefügt werden. Frage 2: Dürfen Blutkomponenten untereinander gemischt werden? Antwort: Eigentlich NEIN, da wir eine eventuelle Transfusionsreaktion nicht oder schwer einem Produkt zuordnen können. Da diese Frage bei einer Massivtransfusion von untergeordneter Bedeutung ist und es um das Überleben geht, ist sie nachrangig. Wenn es die Situation erlaubt, bitte nicht mischen. Frage 3: Kommt es bei Mischung von kalziumhaltigen Infusionslösungen zur Koagelbildung? Antwort: Eindeutig JA, da die Antikoagulanz in der Lagerungslösung von Blutplasma und Erythrozyten durch die überschießende Zugabe von Gerinnungsfaktor IV- Kalzium antagonisiert wird. Lediglich Plasma enthält heutzutage nennenswerte Mengen an Citrat (bis zu 40ml CPD (Citrat, Phosphat, Dextrose)), Erythrozytenkonzentrate und der größere Teil der Thrombozytenpräparationen haben neben einem vernachlässigbaren Gehalt an Citrat (CPD in EK 2-5ml, TK bis zu 20ml) zu einem Drittel Additivlösung (SAG-oder PAGGS-Phosphat, Adenosin, Glukose, Guanosin, Mannitol). Es handelt sich um eine mehr oder wenige klare Dosis Wirkungs-Beziehung*. Durch den übermäßigen Zuschuss von Kalzium wird ein Koagel im Plasma-Erythrozytengemisch durch hauptsächlich die Fibrinpolymerisierung erzeugt. Deshalb sind in der Gebrauchsinformation eines Anbieters Kalziumhaltige Lösungen als un-"kompatibel" aufgeführt. Der Kalziumgehalt in einer in Deutschland üblichen balancierten Kristalloidlösung wie die angesprochene Ionosteril 1/1 entspricht ca. 50 mg/dl (entspricht 12,5 mmol/l), Ringer-Lactat-Lösung enthält Ca++ in einer Konzentration von 1,8 mmol/L (7,2 mg/dl) und führt dosisabhängig zur Koagelbildung [5-8]. Ein altes Experiment von 1978 aber beschreibt die Beschleunigung der Fibrinpolymerisation durch Kalzium [9], eines der Effekte von Kalzium in der plasmatischen Gerinnungskaskade; Kalziumionen fördern auch die Umwandlung F IXa zu FX, bzw. F Xa zu Prothrombin. Weitere Faktoren sind eine gewisse Hämolyse durch hohe Flussraten gelagerter Erythrozyten (Kalzium wird aus den Erythrozyten freigesetzt), die flussabhängige stärkere Erhitzung durch die Heizspirale und deren Impedanz. Allerdings ist die Kalziumkonzentration eindeutig der entscheidende Faktor (Abbildung 3 aus [6]). Abb.1: Abbildung 3 aus Boyer et al. Anesth Analg. 2016 Apr;122(4):1062-9
Frage 4: Sind die Koagel im Reservoir für den Patienten gefährlich? Antwort: Eindeutig JA.Da sie bevorzugt im System auf der Patientenseite des Filters (des 250µ-Siebs z.B. im Wärmeaustauscher) entstehen und die Druckinfusion sie ins Gefäßsystem infundiert, sind Lungenembolien eine zwangsläufige Konsequenz. Die Rekalzifizierungszeit beträgt 90-120 sec, solange braucht also die Entstehung eines Koagels. In einer in-vitro Arbeit war die Koagelbildung nicht immer mit einem Alarm und Systemstopp verbunden, weshalb das Problem ernst zu nehmen ist! Frage 5: Sollen NaCl 0,9% Infusionen verwendet werden, wie es die Hersteller empfehlen? Antwort: Eigentlich NEIN.Die alten Empfehlungen, Blutprodukte, aufgrund der Koagelinduktion nur mit physiologischer NaCl 0.9%-Infusionslösung zu infundieren [10, 11], haben besonders in der Situation der Massivtransfusion wegen der Gefahr der hyperchlorämischen Azidose keine Indikation mehr [12]. Das Problem ist eigentlich schon lange bekannt: Bereits 1975 publizierten Ryden und Obermann eine Untersuchung zur Kompatibilität von Infusionslösungen mit CPD-Vollblutkonserven. Sie untersuchten verschiedene Mischungsverhältnisse von CPD-Vollblut (CPD-Stabilisator mit Citrat, Natriumhydrogenphosphat und Glucose-Monohydrat) und Ringer-Lactat-Lösung. Bei einem Mischungsverhältnis von 1:10 entwickelten sich bereits nach zwei Minuten bei 37°C deutliche Koagel. Auch bei einem Mischungsverhältnis von CPD-Vollblut: in Ringer-Lactat-Lösung von 1:40 kam es bei 37°C nach zehn Minuten noch zu einer Koagelbildung [13]. Frage 6: Kann ich Druckinfusionsgeräte sicher einsetzen? Antwort: Eindeutig JA. Man muss nur folgende Grundsätze beachten: 1.) Keine Mischung von Blutprodukten im Druckinfusionsgerät mit Infusionslösungen (siehe oben). Erythrozytenkonzentrate und autologe MAT-Konzentrate können sicher über das Druckinfusionsgerät verabreicht werden (CAVE Luftinfusion beim MAT-EK [14]). Auch bei einem versehentlichen extravasalen Vermischen der Erythrozytenkonzentrate mit kalziumhaltigen Lösungen ist das Problem wegen des vernachlässigbaren Plasmaanteils noch nicht beobachtet worden. 2.) Plasma und Thrombozytenkonzentrate gehören nicht in das Druckinfusionsgerät. Wegen der immanenten Citratreaktion sollten GFP ohnehin mit einer begrenzten Infusionsgeschwindigkeit von nur 30 bis 50 ml/min (Querschnittsleitlinien 4.4.3 [15]) transfundiert werden. Schwerkraftinfusion über separaten Zugang reicht dazu aus. 3.) Auch in der Massivtransfusion gehört die visuelle Kontrolle der Erythrozytenkonzentrate auf sichtbare Koagel vor der Verabreichung zur sicherheitsrelevanten Maßnahme, ob über eine Druckinfusion oder per Scherkraft. Frage 7: Wie bekomme ich die restlichen Infusionen und Medikamente bei der Massivtransfusion rasch infundiert, ohne Hypothermie und Koagel zu induzieren? Antwort: Balancierte Lösungen zur Anwendung in großen Volumina können in einem Wärmeschrank gelagert werden und gesondert über ein Gerät gewärmt oder über eine Druckmanschette verabreicht werden. Kalziuminjektionen in die infundierten Lösungen und Blutprodukte müssen unterbleiben und sollen über gesonderte Zugänge verabreicht werden. Fazit für die Praxis der Massivtransfusion und den Gebrauch der Druckinfusionsgeräte: Druckinfusionsgeräte unterliegen der Anlage 1 MPBetreibV. Alle Anwender müssen eingewiesen sein. Die CE-Zertifizierung von medizinischen Geräten ist bei Herstellern aus Großbritannien seit dem BREXIT ungültig. *Anmerkung zum Verständnis: Der entgegengesetzte Effekt der Dosis-Wirkung-Beziehung ist die Induktion einer Citrat-induzierten Koagulopathie: Treffen extrem große Volumina von Blutprodukten samt Lagerungslösung (CPD, CPDA-1- Citrat, Natriumhydrogenphosphat und Glucose-Monohydrat, Adenosin)) auf ein vitales Gerinnungssystem mit Thrombozyten kann es zur Zitratbindung des ionisierten Kalziums im Plasma der Patienten und damit zu Gerinnungsstörungen kommen. Prozessqualität:
Weiterführende Literatur:
Abkürzungen: CA – Chefarzt/-ärztin, M&M – Konferenz zu Morbidität und Mortalität, MAT – Maschinelle Autotransfusion, OP – Operationssaal, QM – Qualitätsmanagement, SOP – Stand Operating Procedure, TV - Transfusionsverantwortlicher, VA – Verfahrensanweisung Autoren:
Prof. Dr. med. T. Frietsch, 1. Vorsitzender der IAKH, Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Universitätsmedizin Mannheim
Priv.-Doz. Dr. med. G. Dietrich, Chefarzt Rottal-Inn Kliniken KU, Abteilung: Anästhesie – Intensivmedizin -Schmerztherapie – Transfusionsmedizin, Eggenfelden Dr. med. B. Kübel, AG Leitung des IAKH Fehlerregister, Beratung im Gesundheitswesen, Anästhesist, Moers K. Ludwig, Wissenschaftliche Assistentin der IAKH, Auswertekommission des IAKH Fehlerregisters, Mannheim Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
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