Fall des Monats Quartal 2/2023 |
19.09.2023 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und LernenKomplikation beim Intrahospitaltransfer eines ECLS-PatientenDownload Fall des Monats Quartal 2-2023 als PDF Dokument Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Komplikation beim Intrahospitaltransfer eines ECLS-Patienten
Zuständiges Fachgebiet:AnästhesiologieWo ist das Ereignis eingetreten:Krankenhaus - TransportTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA VPatientenzustand:MibundWichtige Begleitumstände:Erster ECLS-Transport für durchführenden Arzt.Fallbeschreibung:
Ein kritisch kranker Intensivpatient (beatmet, sediert) mit Z.n. Reanimation und persistierendem Kreislaufschock muss wegen einer neu aufgetretenen Pupillendifferenz im Routinebetrieb notfallmäßig ins CT transportiert werden. Wegen einer einliegenden Impella und ECLS / va-ECMO besteht das Team aus einer erfahrenen Pflegekraft und einem erfahrenen Kardiotechniker sowie zwei Assistenzärzten, die ihren ersten ECLS-Transport durchführen.
Auf dem gesamten Transport zu und vom CT zurück klingelt das Telefon des Kardiotechnikers häufig, da er Orga-Dienst hat und im Hintergrund OP-Abläufe für das Team der Kardiotechnik klären muss. Die Pflegekraft und die beiden Ärzte sind auf dem Rückweg im Gespräch, der Kardiotechniker telefoniert erneut, während alle das Bett schieben und sich mit relativ hoher Geschwindigkeit einer Engstelle im Gang nähern, wo die Breite der Tür für Intensivbetten (mit Monitorwagen und ECLS-Wagen) gerade eben ausreicht. Da alle Beteiligten abgelenkt sind, fällt die hohe Geschwindigkeit zu spät auf und eine Aufforderung zum Bremsen seitens Pflege und Arzt reicht nicht aus. Ein lautes Knacken ist hörbar, als der Oxygenator mit dem Türrahmen kollidiert. Es ergießt sich eine Lache aus Blut auf den Boden, die ECLS alarmiert. Unmittelbare Reaktion des Kardiotechnikers ist, einen Oxy-Wechsel zu organisieren, während beide ärztlichen Begleiter nicht wissen, wie mit der Situation zu verfahren ist. Die Pflegekraft klemmt ohne langes Zögern beide Kanülen mit dafür vorgehaltenen chirurgischen Klemmen und schickt einen der beiden Ärzte, um Hilfe zu holen, da die ITS nur wenige Meter vom Unfallort entfernt ist. Mit geklemmten ECLS-Kanülen wird der Transport zügig bis in das Zimmer fortgesetzt. Der diensthabende Oberarzt übernimmt als Teamleader das Delegieren aller notwendigen Maßnahmen. Dort beginnt ohne Verzögerung ein Wechsel der Oxygenator-Einheit und die Transfusion von zwei EKs. Der Patient erleidet keine weitere Verschlechterung seines Zustands. Es findet ein schließendes Debriefing mit dem Oberarzt statt. Was war besonders gut?- Dank Erfahrung und Geistesgegenwart wusste die anwesende Pflegekraft, dass die Kanülen des ECLS geklemmt werden mussten.- Dank des kurzen Weges bis zur Intensivstation war die Zeit des ECLS-Stillstands nur wenige Minuten. - Da der Patient mit einer Impella versorgt war, sein Herz noch Restauswurf hatte und die Oxygenierung über eine invasive Beatmung adäquat war, kam es nicht zu bedrohlichen Herzkreislaufkomplikationen, die den Zustand des Patienten signifikant verschlechtert haben. - Das anschließende Debriefing blieb ohne Schuldzuweisung. Das erklärte Ziel war, allen Anwesenden bei der Vermeidung zukünftiger Komplikationen dieser Art zu helfen. - Trotz des Blutverlustes wurde nur ein moderater Hb-Abfall beobachtet, der mit zwei EKs zügig wieder behoben war. Was war besonders ungünstig?- In der Einarbeitungsphase der beiden begleitenden Assistenzärzte war kein ECLS-Transport vorgenommen worden, sodass beide Ärzte mit den Notfallmaßnahmen (Klemmen der Kanülen etc.) nicht vertraut waren.- Die Ablenkung des Transport-Teams (Gespräch, Telefonate) war ursächlich für das späte Bemerken der zu hohen Geschwindigkeit und die folgende Kollision. - Die oft getroffene Aussage "mal eben schnell ins CT fahren", führt häufig (wie auch bei uns) zu einem zu hohen Tempo beim Schieben des Betts. Das mit zwei Transportwagen (einer vorne, einer hinten) ausgestattete Bett ließ sich auch von vier Personen somit nicht rechtzeitig bremsen, um eine Kollision zu verhindern. Die beschriebene Engstelle im Gang war allen Beteiligten wohlbekannt, wurde aber nicht rechtzeitig antizipiert. - Es war für alle Beteiligten eine psychisch extrem belastende Situation, die durch das wertschätzende und sachliche Debriefing ein wenig aufgefangen werden konnte. Eigener Ratschlag (Take-Home-Message):- Jeder Bettentransport (besonders jene mit beatmeten und kreislaufinstabilen Patienten) sollte in Ruhe und ohne Hektik ausgeführt werden. Schwierig zu navigierende Stellen im Gebäude (Aufzüge, Türdurchgänge) können bei langsamer Fahrweise besser antizipiert werden.- Auf Telefonate sollte verzichtet werden, so lange das Bett in Bewegung ist. Wenn ein Telefonat nicht aufschiebbar ist, muss das Bett angehalten werden. - Private Gespräche sollten auch nicht nebenher geführt werden, weil sie die Aufmerksamkeit mindern. Wie häufig tritt ein Ereignis dieser Art in Ihrer Abteilung auf?seltenWer berichtet?Ärztin / ArztBerufserfahrung:bis 5 JahreDie Analyse aus Sicht des AnästhesistenIncident Reporting Systeme dienen dazu, Organisationen und Individuen für bislang unbekannte und sicherheitsrelevante Ereignisse zu sensibilisieren und dadurch Veränderungen herbeiführen zu können. Während sich mancherorts die Verantwortlichen dieser Systeme noch um deren soziokulturelle Aspekte bemühen (z.B. Akzeptanz bei den MitarbeiterInnen, positive Verstärkung des Meldeverhaltens) und auf eine breitere Beteiligung der Mitarbeitenden hoffen, mehren sich in der wissenschaftlichen Literatur zu Incident Reporting zunehmend Stimmen, die auf grundlegende Defizite in der Umsetzung von Incident Reporting Systemen im Gesundheitswesen hinweisen [1,2]. Die grundlegende Kritik lautet, dass im Gesundheitswesen ein erfolgreiches Modell aus anderen soziotechnischen Systemen (vor allem der zivilen Luftfahrt) kopiert werden soll, ohne gleichzeitig die für den Erfolg notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen vorzuhalten. Das erschwert den Aufbau einer grundlegenden sozialen Infrastruktur aus kritischem Dialog mit dem Meldenden, umfassender Untersuchung und rascher Ableitung von konstruktiven Maßnahmen [3]. So sind Incident Reporting Systeme im Gesundheitswesen häufig dadurch charakterisiert, dass Einrichtungen die Anzahl der abgegebenen Berichte anstatt der Qualität der resultierenden Analyse und Maßnahmenergreifung als Maß dafür nehmen, wie gut es um die Sicherheitskultur an ihrer Einrichtung steht [4]. Der Mangel an sinnvollen, evidenzbasierten Reaktionen auf eine Meldung hin ist häufig jedoch kein Problem der bearbeitenden Personen, sondern ist in der Regel darauf zurück zu führen, dass die Meldungen häufig zu wenig detaillierte Angaben sowohl zum Ereignis als auch zu ursächlichen oder beitragenden Faktoren enthalten, sodass eine systematische Analyse oft nicht möglich ist. Diese Kritik gilt auch für die Meldungen in CIRS-AINS: In einer 10-Jahres-Analyse von Meldungen aus CIRS-AINS mit über 6.000 Berichten beschränkten sich die Melder in 38% aller Meldungen auf weniger als 100 Worte, um den für sie sicherheitsrelevanten Sachverhalt zu schildern [3].Darüber hinaus kann man in den letzten Jahren bei den in CIRS-AINS abgegebenen Meldungen den Eindruck gewinnen, dass aufgrund unklarer bzw. zu allgemeiner inhaltlicher Kriterien für die Aufnahme einer Meldung in ein Systemzunehmend Berichte verfasst werden, die keinen konkreten Bezug zu einem sicherheitsrelevanten Vorfall haben, sondern deren Inhalt eher den Charakter einer Beschwerde oder Überlastungsanzeige trägt. Derartige Meldungen können jedoch nur bedingt zur Verbesserung der Patientensicherheit beitragen. Die vorliegende CIRS-Meldung hingegen kann als Lehrbeispiel dafür gesehen werden, wie eine gute und inhaltsvolle CIRS-Meldung aussehen sollte:
Die genannten Kriterien sind im vorliegenden Fall so vorbildlich umgesetzt worden, dass in diesem Fall des Monats zum Geschehen selbst nichts hinzugefügt werden muss: der Fall spricht für sich und der Bericht erklärt sich selbst. In seiner Ausführlichkeit stellt der Bericht eine hervorragende Illustration des Sachverhalts dar, dass ein Transport kritisch Kranker innerhalb eines räumlich zusammenhängenden Klinikgeländes eine erhebliche zusätzliche Gefährdung dieses Patienten darstellen können. Die Wichtigkeit der in der Empfehlung der DIVI zum innerklinischen Transport kritisch kranker, erwachsener Patienten [2] genannten umsichtigen Planung und ruhigen Durchführung kann aus der Schilderung des Vorfalls als fehlendes Element identifiziert werden. In Reaktion auf die ursprüngliche Meldung wurde von den Verantwortlichen vor Ort eine Änderung im Aufbau des Transportwagens vorgenommen, sodass der am Fußende des Bettes angebrachte Oxygenator weniger in den Raum hinausragt und dadurch die Kollissionsgefahr verringert. Dieses Resultat würde der Veränderungsfunktion eines CIRS-Systems entsprechen. Daneben erfüllen CIRS-Systeme aber noch einen zweiten, einen Lerneffekt: Im vorliegenden Fall wird der Leser für den Umstand sensibilisiert, dass kritisch kranke Patienten davon profitieren, wenn die Behandelnden ihre Aufmerksamkeit ganz bewusst auf den Patienten fokussieren und –soweit möglich- Ablenkungen vermeiden. Die Analyse aus Sicht des JuristenGemäß § 630a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hat die Versorgung des Patienten nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen (sog. Facharztstandard). Entsprechend der Begründung dieser Vorschrift obliegt es den ärztlichen Fachgebieten, den in ihrem Fachgebiet geltenden Standard insbesondere etwa durch Leitlinien – nichts anderes gilt für sonstige Empfehlungen und Vereinbarungen – zu definieren. Fachliche Verlautbarungen, die den im Fachgebiet geltenden Standard definieren, haben zwar keine Gesetzeskraft, werden jedoch spätestens im Schadensfall zur Beurteilung eines facharztgerechten Vorgehens herangezogen. So verhält es sich hier auch mit der bereits zitierten Empfehlung der DIVI zum innerklinischen Transport kritisch kranker, erwachsener Patienten.Der Patient hat innerhalb und außerhalb der Regeldienstzeiten sowie in jeder prä-, intra- und postoperativen Phase Anspruch auf eine Versorgung, die qualitativ dem zu entsprechen hat, was ein berufserfahrener Facharzt des jeweiligen Gebietes im konkreten Fall zu leisten imstande ist. Dieser Versorgungsanspruch ist auch während eines Intrahospitaltransfers aufrechtzuerhalten und, wie in der Analyse des Anästhesisten richtig hervorgehoben, der Transport darf keine zusätzliche Gefährdung des Patienten auslösen. Der Bericht weist in folgenden Punkten „juristische Schwachstellen“ auf: 1. Die Assistenzärzte führten ihren ersten ECLS-Transport durch und waren in ihrer Einarbeitung nicht ordnungsgemäß in den Vorgang selbst und die ggf. notwendigen Notfallmaßnahmen eingewiesen worden. Die genannte Empfehlung der DIVI empfiehlt zur Transportbegleitung: „Jeder Transport sollte von mindestens einem intensivmedizinisch erfahrenen und in Transportbegleitung trainiertem Arzt/Ärztin und einer intensivmedizinisch erfahrenen Pflegekraft, vorzugsweise das den Patienten betreuende Personal durchgeführt werden.“ Die Einhaltung des Facharztstandards ist vorliegend nicht erfüllt: Der erfahrene Kardiotechniker hat vermutetermaßen eine abgeschlossene Ausbildung in einem anerkannten und für die Weiterbildung als Kardiotechniker einschlägigen Beruf, ist hingegen kein approbierter Arzt. Die beiden Assistenzärzte sind nach der Sachverhaltsschilderung nicht intensivmedizinisch erfahren und in der Transportbegleitung nicht trainiert. 2. Berichtet wird von einem nur wenige Minuten andauernden ECLS-Stillstand sowie einem moderaten Hb-Abfall, der mit zwei Erythrozytenkonzentraten (EK) zügig wieder behoben werden konnte. Auslöser des Stillstands und des Abfalles sind ein nicht facharztgerechter und patientengefährdender Transport (zu hohe Geschwindigkeit, alle Beteiligten dienstlich/nicht-dienstlich bedingt unaufmerksam), der wiederum Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche des Patienten nach sich ziehen kann. Die Gabe von EKs stellt einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten dar, für den die Einwilligung des Patienten erforderlich ist. Ein vom Patienten involvierter Anwalt mag an die Aufklärungsrüge vor dem Hintergrund denken, dass entweder in der stattgehabten Aufklärung zur operativen und/oder anästhesiologischen Versorgung dies gar nicht oder jedenfalls nicht in Verbindung mit einem patientengefährdenden intrahospitalen Transport thematisiert worden ist – ohne den die Gabe der EKs entweder gar nicht oder nicht so erforderlich geworden wäre. Auch ohne bedrohliche Herzkreislaufkomplikationen und ohne weitere Zustandsverschlechterung könnte der kurze ECLS-Stillstand und die Gabe der EKs als Schaden thematisiert werden. 3. Hinzukommt, dass die Gabe von EKs entsprechende Kosten auslöst: Die Tatsache des Blutverlustes und dessen Ursache werden entsprechend dokumentiert sein, so dass die Krankenversicherung des Patienten bzw. der Medizinische Dienst Einwände hinsichtlich der Übernahme der nicht unerheblichen Kosten vorbringen wird können. 4. Die Entscheidung bei nicht aufschiebbaren Telefonaten des Transportbegleitpersonals, ob ein Telefonat geführt und das Patientenbett dafür angehalten wird oder eben nicht, sollte dem Personal überhaupt nicht auferlegt werden. Für den vorliegenden Fall heißt das: Die Besetzung der Transportbegleitung mit einem Kardiotechniker in Doppelfunktion (zugleich Orga-Dienst und Koordination der OP-Abläufe für das Team der Kardiotechnik) und zwei Assistenzärzten ohne die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen kann sowohl dem für den Patiententransport veranlassenden Chefarzt als auch dem Krankenhausträger zum Vorwurf mangelnder Organisation gemacht werden. Ein Organisationsverschulden kann im Schadensfall zur Haftung führen. Für die quantitativ und qualitativ erforderliche personelle Ausstattung für das ärztliche, pflegerische, technische und sonstige Personal ist der Krankenhausträger verantwortlich, für eine ebensolche (ärztliche/pflegerische) Diensteinteilung der jeweilige Chefarzt. 5. Die räumlichen Verhältnisse eines Krankenhauses müssen von den Mitarbeitenden in der Regel als gegeben angesehen werden. Die Schilderung, wonach allen Beteiligten die im Sachverhalt relevante Engstelle wohlbekannt war, hilft gleichwohl nicht über die Tatsache hinweg, dass Mitarbeitende etwaige Gefahrenstellen bestenfalls schriftlich bei ihrem Arbeitgeber/Krankenhausträger anzeigen und zur Vermeidung einer ggf. vermeidbaren Patientengefährdung zumindest eine Begehung z.B. durch die zuständige Bauplanungsabteilung des Hauses einfordern sollten. Ein „findiger“ Anwalt mag auch solche auf den ersten Blick eher nebensächlichen Aspekte in seiner Schadensersatzforderung berücksichtigen. Weiterführende Literatur:
Autoren:
Priv.-Doz. Dr. med. M. St.Pierre, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Rechtsanwältin A. Pfundstein, Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten, Nürnberg Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten, Nürnberg
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