Fall des Monats Quartal 3/2023 |
28.11.2023 |
CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und LernenFehltransfusionDownload Fall des Monats Quartal 3-2023 als PDF Dokument Der Fall:(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Fehltransfusion
Zuständiges Fachgebiet:AnästhesiologieWo ist das Ereignis eingetreten:Krankenhaus - OPTag des berichteten Ereignisses:WochentagVersorgungsart:RoutinebetriebASA-Klassifizierung:ASA IIIPatientenzustand:Patient mit intraoperativ steigendem Katechomainbedarf bei operativ bedingter Blutungsanämie.Fallbeschreibung:
Es kam zu einer Fehltransfusion eines Erythrozytenkonzentrats wegen einer Namensverwechslung (Nachnamen bis auf einen Buchstaben gleich, Blutgruppe gleich). Die initiale Verwechslung der EK fand bereits im Labor statt. Die falsche EK wurde in den OP geliefert.
Was war besonders ungünstig?Verwechslung fiel erst nach der Transfusion des ersten EK auf.Wo sehen Sie die Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können?UnaufmerksamkeitWie häufig tritt ein Ereignis dieser Art in Ihrer Abteilung auf?erstmaligWer berichtet?Ärztin / Arzt, Psychotherapeut/inDie Analyse aus Sicht der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH)ProblemanalyseIn diesem Fall wurde versehentlich ein AB0-kompatibles Erythrozytenkonzentrat transfundiert, das aber für diesen Patienten nicht ausgekreuzt war. Der Verträglichkeitstest (Serumverträglichkeitsprobe, Kreuprobe) testet Reaktionen der Konserve mit dem Patientenblut im in-vitro-Ansatz von Erythrozyten und Serum. Kommt es zu Reaktionen (Verklumpungen), obwohl die Majorkompatibilität im AB0-System gegeben ist, kann gelegentlich ein unentdeckter irregulärer Antiköper beim Patienten oder in der Konserve identifiziert werden. Da der Erstkontakt mit einem Antikörper oftmals ein subklinische oder nur schwache Hämolyse auslöst, die klinisch meist unentdeckt bleibt, ist in diesem Fall (und in allen anderen Fällen der sogenannten folgenlosen Fehltransfusion) eventuell doch ein Schaden entstanden. Wird der Empfänger dieser Fehltransfusion in seinem weiteren Leben nochmalig diesem Antikörper exponiert, kann sich eine gravierende und vital bedrohliche hämolytische Transfusionsreaktion ausbilden. Die Häufigkeit dieses Ereignisses (der folgenlosen Fehltransfusion) ist in Deutschland unbekannt, da die derzeitige Meldeverordnung nach Richtlinie Hämotherapie 2023 der Bundesärztekammer lediglich eine einrichtungsinterne Meldeverpflichtung an die im Qualitätssystem des Hauses als folgenlose Fehltransfusion beinhaltet (s. Tab 5.3). Damit ist die Frequenz dieses Ereignisses in keiner Statistik offiziell angegeben und auch nicht dem Paul-Ehrlich-Institut bekannt. Die Gefahr von Verwechslungen von Patienten mit gleichem oder ähnlichem Namen ist aber bekanntermaßen auch aus anderen Bereichen groß. Das ist insbesondere wichtig, wenn Patienten dement, bewusstlos oder mit Sprachbarriere die Empfänger eines Blutproduktes sind und die Mitarbeit im Identifikationsprozess eingeschränkt ist. Da es wie hier im intraoperativen Verlauf (steigender Katecholaminbedarf) für den für die Verabreichung der Blutkonserve zuständigen Anästhesisten nicht immer stressfreie klinische Arbeitssituationen betreffen dürfte, sollten Vorkehrungen für einen fehlerfreien Verabreichungsprozess im OP und Labor etabliert sein und andere Fehlerquellen in der Prozesskette möglichst sicher ausgeschlossen sein. Die Labor- und Depotarbeit beinhaltet jedoch ebenso Hochphasen unter Zeitdruck, weshalb auch im patientenfernen Bereich die im diesjährigen SHOT-Report [8] betonte Fehlerentstehung unter Stress und Zeitdruck möglich und sogar typisch ist. Deshalb benutzen die meisten Blutbanken und Depots im Labor zur Verwaltung, Lagerung, Verrechnung und Ausgabe Barcode-Scanner. Das Vier-Augen-Prinzip kann durch den Einsatz eines Scanner-gestützten Abgleichs entfallen, sowohl von Chargen der Blutröhrchen, Konserven, Blutgruppentests, Verträglichkeitsproben und Patientenidentitäten. Wenn die Scannersoftware aber nicht in eine intelligent programmierte Patientenverwaltung und auch ins KIS eingebunden werden kann (wie das in vielen Häusern der Fall ist), ist eine kostengünstige Chance zur Patientensicherheit ungenutzt. In diesem Fall wurde die Verwechslung und Falschzuordnung der Konserve am wahrscheinlichsten nicht bemerkt, weil die Ausgabekontrolle keine elektronische Verknüpfung zum KIS-System bzw. zur Anforderung für einen anderen Patienten hatte. Dieser Missstand ist relativ einfach zu beheben, es gibt mittlerweile Blutbank- und Laborsoftware, die Schnittstellen mit dem Patientendokumentationssystem KIS beinhalten und sogar Plausibilitätsprüfungen erlauben. Sie reduzieren effektiv Fehlzuordnungen, sowohl der Blutproben als auch des Blutprodukts [1]. Eine zentrale Datenbank ist hilfreich [2], lokale Datenbanken sind limitiert wirksam, wenn der Patient bereits vorher in der Einrichtung eine Blutprobe abgegeben hat. Zumindest sollte ein einfacher Abgleich eines Namens und weiteren Identifikationsmerkmalen die Zuordnung analog oder elektronisch den Fehler vor der Ausgabe entdecken. Wenn eine analoge Ausgabeform noch gepflegt wird, ist das 4-Augen-Prinzip auch hier obligat anzuwenden. Ob dies unterlassen wurde oder welchem Umstand die Fehlausgabe in dieser Meldung zuzuschreiben ist, bleibt aber unklar. Trotzdem muss auch nach der Ausgabe in jedem Prozessschritt nochmalig eine Prüfung der korrekten Zuordnung analog oder elektronisch erfolgen; bei der Übergabe vom Transport zum klinischen Anwendungsbereich und vom anwendenden Arzt, bevor er die Konserve transfundiert. Eine finale Identitätsüberprüfung muss immer und auch beim kommunikationsunfähigen Empfänger der Transfusion erfolgen [3]. Als weitere Schritte sind weitergehende Absicherungen der Prozesskette in der Anwendung von Blutprodukten bei Bekanntwerden der Namensgleichheit zweier gleichzeitig behandelter Patienten im klinischen Teil dieser Einrichtung zu berücksichtigen:
Wir empfehlen darüber hinaus zur zukünftigen Vermeidung einer solchen Risikosituation Prozessqualität:
Strukturqualität:
Weiterführende Literatur:
Abkürzungen: EK - Erythrozytenkonzentrat, GF - Geschäftsführer/in, IT - Informationstechnik/er, SOP - Stand Operating Procedure, TV - Transfusionsverantwortlicher, VA - Verfahrensanweisung Autoren:
Prof. Dr. med. T. Frietsch, 1. Vorsitzender der IAKH, Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie, Universitätsmedizin Mannheim
K. Ludwig, Wissenschaftliche Assistentin der IAKH, Auswertekommission des IAKH Fehlerregisters, Mannheim Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten, Nürnberg
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