CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen
Aufgrund eines Ausfalls der zentralen Druckluftversorgung geraten Intensivpatienten in Gefahr
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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Aufgrund eines Ausfalls der zentralen Druckluftversorgung geraten Intensivpatienten in Gefahr
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
Wo ist das Ereignis eingetreten:
Krankenhaus - ITS / IMC
Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag
Fallbeschreibung:
Gegen 06:30 Uhr kam es zum Ausfall aller Beatmungsgeräte mit Gefahr bei fünf Patienten. Als Ursache wurde ein Ausfall der Druckluftversorgung festgestellt. Ein Backup-Druckluftsystem, das nach Rücksprache im Vorfeld des Ereignisses mit der Haustechnik immer einspringt, wenn die Gasversorgung ausfällt, funktionierte nicht.
Was war besonders gut?
Mitarbeiter der Haustechnik war bereits am frühen Morgen vor Ort in der Einrichtung und konnte unmittelbar nach erfolgter Information weitere Abläufe initiieren.
Vier Patienten konnten über eine Sauerstoffzufuhr kurzzeitig selbsttätig atmen.
Was war besonders ungünstig?
- Dauer des Ausfalls aller Beatmungsgeräte für etwa 30 Minuten.
- Zwei Patienten mussten mit dem Beatmungsbeutel von Hand beatmet werden.
Wo sehen Sie die Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können?
Keine Ausfallsicherheit der zentralen Gasversorgung für die Intensivstation.
Funktionsfähiges Backup-System der Druckluftversorgung.
Welche Faktorn trugen zu dem Ereignis bei?
Technische Geräte (Funktionsfähigkeit, Bedienbarkeit etc.)
Wie häufig tritt ein Ereignis dieser Art in Ihrer Abteilung auf?
erstmalig
Wer berichtet?
Ärztin / Arzt, Psychotherapeut/in
Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
In Ihrer Meldung wird beschrieben, dass für 5 Patienten Gefahr bestand, weil die Druckluftversorgung für alle Beatmungsgeräte komplett ausgefallen war und die Beatmungsgeräte dadurch nicht mehr funktionierten. Wenn wir die Meldung richtig verstehen, war die Druckluftversorgung unterbrochen, die Versorgung mit Sauerstoff aber nicht? Diese Information wäre für die Bewertung des Falles ausgesprochen relevant, weil alle uns bekannten Beatmungsgeräte bei Ausfall eines Gases komplett auf das alternative Gas umschalten. Im beschriebenen Fall würde dies bedeuten, dass Patienten bei Ausfall von Druckluft mit 100% Sauerstoff beatmet werden. Dies ist sicher nicht optimal, führt aber wahrscheinlich nicht unmittelbarer zu lebensbedrohlichen Zuständen. Vielleicht wird die Meldung aber auch falsch verstanden?
Zum anderen muss man bemerken, dass in den Empfehlungen der DGAI zur apparativen Ausstattung eines Arbeitsplatzes in der Intensivtherapie zwingend eine manuelle Beatmungs-Möglichkeit an jedem Arbeitsplatz gefordert wird. Bei Ausfall des Beatmungsgerätes müsste diese manuelle Beatmungs-Möglichkeit („Ambu-Beutel“) sofort genutzt werden. Damit soll die Gefahr für den Patienten reduziert werden. Klar ist allerdings auch, dass diese Forderung in aller Regel nicht erfüllt werden kann, wenn alle verfügbaren Betten mit beatmeten Patienten belegt sind. In einem derartigen Fall würde vermutlich schlicht das entsprechende Personal fehlen bzw. nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
Vermutlich bezieht sich aber die Meldung im Kern auf die Fragestellung, wie sicher bzw. redundant medizinische Gasversorgungsanlagen aufgebaut sein müssen. Bei genauerer Betrachtung wird man hier zwei relevante Themen erörtern müssen.
Zum einen steht die Frage, ob bezüglich der Einspeisung, also der „Gasquelle“ Redundanz vorgehalten werden muss. Sollten Sie also Druckluft selbst im Haus mit dafür geeigneten Kompressoren herstellen steht die Frage, ob mehrere Kompressoren zur Verfügung stehen, die bei Ausfall eines Kompressors die Versorgung aufrechterhalten können. Hier muss man auch überlegen, welche Kapazitäten erforderlich sind, um dies zu realisieren. Alternativ kann es die Überlegung geben, bei Ausfall von Kompressoren die Versorgung aus Flaschenbatterien zu gewährleisten. Die gleiche Frage steht für die Versorgung mit Sauerstoff, nur, dass hier in der Regel große Tanks mit flüssigem Sauerstoff die primäre Versorgungsquelle darstellen.
Zum anderen muss entschieden werden, wie man den Weg von der „Gasquelle“ zu den Entnahmestellen auf den Stationen realisiert. Hier vor allem die Frage, wie redundant die Rohrleitungssysteme zum Transport von Druckluft oder Sauerstoff ausgeführt sein müssen. Die Frage klingt einfach, ist es aber leider nicht. Wenn man sich hier für Redundanz entscheiden sollte ist dann die nächste Frage, für welche Strecken des Rohrleitungssystems diese Redundanz gelten soll. Vielleicht bis zu jeder Station, bis zu jeder Pflegegruppe, bis zum jedem Zimmer? Der Installationsaufwand wird hier schnell sehr hoch und damit teuer.
Zu beiden Themen macht die Norm DIN EN ISO 7396-1 Aussagen. Demnach muss auf der Einspeiseseite (also bei den „Gasquellen“) neben einer primären auch eine sekundäre und eine Reservequelle zur Verfügung stehen. Mit anderen Worten, fällt eine Gasquelle (ein Kompressor, eine Flaschenbatterie usw.) aus, übernimmt eine sekundäre Quelle.
Zur Frage, wie redundant die Rohrleitungssysteme in einzelnen Bereichen, Häusern oder Stationen ausgelegt sein müssen, macht die Norm nur die Aussage, dass die Versorgungssicherheit gewährleistet werden muss. Was dafür zu tun ist, muss im jeweiligen Krankenhaus mit einer Risikoanalyse bzw. Risikobewertung ermittelt werden.
Man könnte beispielsweise die Anlage so konzipieren, dass in Hochrisikobereichen (OP bzw. ITS) Wandentnahmestellen in Rohrleitungssystem 1 integriert werden, Entnahmestellen in Deckenversorgungseinheiten in Rohrleitungssystem 2. Dies muss aber vor dem Hintergrund der Risiken und der Kosten bewertet werden. Eine Forderung nach unabhängigen redundanten Rohrleitungssystemen bis zu jeder Entnahmestelle findet sich in der Norm jedenfalls nicht.
Das Risikomanagement sollte nach ISO 14971 erfolgen. In der folgenden Darstellung ist ein Beispiel dafür aus der Norm DIN EN ISO 7396-1 dargestellt welches zeigt, wie man zum Thema vorgehen sollte. Man muss also in Abhängigkeit vom Versorgungsbereich (OP, ITS, Normalstation usw.) Risiken benennen und entsprechende Maßnahmen bewerten. Für diese Risikoanalyse bzw. -bewertung trägt der Betreiber die Verantwortung.
Zum Schluss muss man feststellen, dass auch für ärztliches und pflegerisches Personal das Thema Versorgungssicherheit im Allgemeinen (auch Versorgung mit Elektroenergie) im Rahmen von Weiterbildungen und Schulungen aufgegriffen werden sollte.
Auszug aus der Norm DIN EN ISO 7391 vom Juni 2029, Seite 153, Prüfliste für Risikomanagement
Die Analyse aus Sicht des Juristen
Laut Fallbericht sind aufgrund der technischen Störung bzw. bei deren Bewältigung keine Patienten zu Schaden gekommen. Anderenfalls hätten aufgrund etwaiger Sorgfaltspflichtverletzung(en) anlässlich der Herstellung oder beim Betrieb der technischen Anlage juristische Konsequenzen im Sinne zivilrechtlicher Haftung auf Schadenersatz und Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung resultieren können.
Insofern bedarf es vorliegend der Erörterung, welche Konsequenzen aus dem Fall möglicherweise klinikumsintern für die Zukunft zu ziehen sind, wozu auch juristische Aspekte zu berücksichtigen bleiben. Dabei verhält es sich auch so, dass die aufgetretene technische Störung als solche im Eigentlichen keinen „CIRS-Fall“ darstellt, denn sie hatte mit ihrer Feststellung ad hoc einer Behebung zu unterliegen, was offenbar auch gelungen ist. Insofern bedurfte es auch nicht des üblichen CIRS-Prozesses von (wie auch immer gearteter) Problemwahrnehmung, Meldung, Prüfung und Abhilfeempfehlung samt Umsetzung. Vielmehr kann unter CIRS-Aspekten jedoch weitergehend die Frage aufgeworfen werden, ob das Ereignis mit eventuell zugrundeliegendem „verstecktem Risiko“ durch vorgelagerte weitergehende Organisationsvorkehrungen hätte erkannt und vermieden werden können bzw. ob die Etablierung weitergehender organisatorischer Maßgaben geboten ist, um das Auftreten solcher bzw. entsprechender Störungen – im Übrigen auch über den rein technischen Bereich hinaus – für die Zukunft zu unterbinden. Dies verweist auf die grundlegende Anforderung zur Etablierung eines umfassend adäquaten Qualitätsmanagements (vgl. § 135a Abs. 2 Nr. 2. SGB V), wozu als Instrument u.a. auch die Einführung eines Risikomanagements gehört (vgl. dazu auch die Qualitätsmanagement-Richtlinie des G-BA vom 16. November 2016). Ziel ist dabei, z.B. mittels regelmäßiger Risikoanalysen nach potentiellen Schadensursachen und Risikofeldern im medizinischen Betriebssystem zu suchen, um präventiv Ereignisse mit etwaiger Schädigung von Patienten zu vermeiden, was – umgekehrt – die Erzielung positiver Behandlungsqualität impliziert (Bock, R.-W., Risk Management als Instrument adäquaten Qualitätsmanagements, in: Ulsenheimer/Gaede, Arztstrafrecht in der Praxis, Heidelberg, 6. Auflage, 2021, Rd-Nr. 212 ff. m.w.Nachw.).
Unter Unterstellung einer unter bau- und sicherheitstechnischen Aspekten insgesamt ordnungsgemäßen, funktionstüchtigen Installation und Übernahme der technischen Anlage im Rahmen (seinerzeit) adäquater Primärorganisation bedurfte und bedarf es im weiteren Betriebsverlauf im Sinne adäquater Sekundärorganisation der routinemäßig laufenden Kontrolle, ob insofern nach wie vor bzw. aktuell entsprechende Ordnungsgemäßheit bzw. Betriebssicherheit gegeben ist (z.B. bezüglich technischer Fehlerfreiheit, zwischenzeitlicher Änderung bau- und sicherheitstechnischer Anforderungen, Überschreitung von Belastungsgrenzen durch verstärkte Inanspruchnahme – etwa infolge Kapazitätserweiterung der Intensivstation – etc.). Sämtliches muss „unter Kontrolle“ gehalten werden, was beispielsweise Wartungsarbeiten anlangt, jedoch auch wiederum die Kontrolle, ob erforderliche Wartungsarbeiten auch tatsächlich gehörige Ausführung finden.
Werden dergestalt versteckte Risiken bzw. Mängel in der (Anlagen-) Strukturqualität und/oder der (Kontroll-)Prozessqualität festgestellt, bedürfen diese im Rahmen der Sekundärorganisation umgehender Behebung, um (neuerlich) einen prospektiv ordnungsgemäßen Betrieb zu gewährleisten, d.h. – umgekehrt –, die potentielle Schädigung von Patienten zu vermeiden (vgl. dazu bereits die Ausführungen in der Analyse aus Sicht des Anästhesisten).
Bezüglich des vorliegend berichteten Ereignisses sind Ausführungen zu etwa konkret erforderlichen sekundärorganisatorischen Maßnahmen leider unmöglich, weil die eigentliche bzw. „letztliche“ Ursache der Störung unbekannt geblieben ist bzw. nicht mitgeteilt wird. Möglichenfalls wäre dem vor Ort weiter nachzugehen.
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Das Thema Versorgungssicherheit mit Medien im Allgemeinen (medizinische Gase, elektrische Energie usw.) sollte Gegenstand von Schulungen im Krankenhaus sein.
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Mit Methoden des Risikomanagements sollte der Grad der Sicherheit bzw. der Aufwand für diese Sicherheit ermittelt werden.
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Im Rahmen der Verpflichtung zu adäquater Sekundärorganisation ist der Krankenhausträger – einer (initialen) adäquaten Primärorganisation des Hauses nachfolgend – verpflichtet, einen fortlaufend ordnungsgemäßen medizinischen Betrieb, u.a. einen funktionstüchtigen Zustand der technischen Anlagen, zu gewährleisten.
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Dies impliziert, im Rahmen angemessener Kontrollmechanismen versteckte Risiken und potentielle Fehlerquellen bzw. akut auftretende Mängel zeitgerecht zu erkennen und zu beheben.
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Weiterführende Literatur:
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Rohrleitungssysteme für medizinische Gase – Teil 1: Rohrleitungssysteme für medizinische Druckgase undVakuum (ISO 7396-1:2016 + Amd 1:2017); Deutsche Fassung EN ISO7396-1:2016 + A1:2019
Autoren:
Dipl.-Ing. M. Regner, Klinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Rechtanwalt R.-W. Bock, Ulsenheimer Rechtsanwälte, Berlin
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten, Nürnberg
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